Kaukasus-Niederwolga-Population (CLV): „Missing Link“ in der Geschichte der indogermanischen Sprachen gefunden

Neue Einblicke in unsere sprachlichen Wurzeln durch Analyse alter DNA

Wo liegt der Ursprung der indoeuropäischen Sprachfamilie? Ron Pinhasi und sein Team vom Institut für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien haben in Zusammenarbeit mit David Reich von der Harvard University ein neues Stück zur Lösung dieses Puzzles gefunden. Sie analysierten alte DNA von 435 Individuen aus archäologischen Stätten in ganz Eurasien zwischen 6.400-2.000 v.d.Z. Die Forscher*innen fanden heraus, dass eine neu entdeckte Population aus der Gegend des Kaukasus und der unteren Wolga mit allen indoeuropäisch sprechenden Populationen in Verbindung gebracht werden kann. Die neue Studie wurde in Nature veröffentlicht.

Die mehr als 400 indoeuropäischen Sprachen (IE), zu denen wichtige Gruppen wie das Germanische, Romanische, Slawische, Indo-Iranische und Keltische gehören, werden heute von fast der Hälfte der Weltbevölkerung gesprochen. Historiker*innen und Sprachwissenschafter*innen untersuchen seit dem 19. Jahrhundert die Ursprünge und die Ausbreitung der aus dem Proto-Indoeuropäischen (PIE) hervorgegangenen Sprache, da es hier immer noch Wissenslücken gibt.

In der neuen Studie, an der auch Tom Higham und Olivia Cheronet von der Universität Wien beteiligt sind, analysierten die Wissenschafter*innen die DNA von 435 Individuen aus archäologischen Stätten in ganz Eurasien aus der Zeit zwischen 6.400 und 2.000 v.d.Z. Frühere genetische Studien hatten gezeigt, dass sich die Yamnaya-Kultur (3.300-2.600 v.d.Z.) beginnend 3.100 v.d.Z. aus den pontisch-kaspischen Steppen nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meers sowohl nach Europa als auch nach Zentralasien ausbreitete, die das Auftreten von „Steppenvorfahren“ in menschlichen Populationen in ganz Eurasien zwischen 3.100-1.500 v.d.Z. erklären. Diese Migrationen aus den Steppen hatten von allen demografischen Ereignissen der letzten 5.000 Jahre die größten Auswirkungen auf das Genom des europäischen Menschen und werden weithin als wahrscheinliche Träger für die Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen angesehen.

Der einzige Zweig der indoeuropäischen Sprachen (IE), der davor keine Vorfahren aus der Steppe aufwies, war das Anatolische, einschließlich des Hethitischen, das sich wahrscheinlich als ältester Zweig abspaltete und sprachliche archaische Muster bewahrte, die in allen anderen IE-Zweigen verloren gingen. Frühere Studien hatten bei den Hethitern keine Vorfahren aus der Steppe gefunden, weil die anatolischen Sprachen, so die neue Studie, von einer Sprache abstammten, die von einer „neuen“ Gruppe gesprochen wurde, die bisher noch nicht ausreichend erforscht worden war: nämlich einer endneolithischen Bevölkerung, die 4.500-3.500 v.d.Z. in den Steppen zwischen dem Nordkaukasus und der unteren Wolga lebte. Wenn die genetischen Daten dieser neu anerkannten Kaukasus-Niederwolga-Population (CLV) als Quelle herangezogen wird, weisen mindestens fünf Individuen in Anatolien, die vor oder während der hethitischen Ära datiert wurden, diese CLV-Abstammung auf.

Fig. 1: Photo of Remontnoye (3766-3637 calBCE), with a spiral temple ring, which later would be one of the consistent artifactual attributes of Yamnaya graves, but her pose contracted on the side was like Maikop, not Yamnaya, and she has about 40% Maikop-like genetic ancestry. Interesting image because of the mixture of traits. C: Natalia Shishlina (co-author of "The Genetic Origin of the Indo-Europeans")
Abb. 1: Foto von Remontnoye (3766-3637 calBCE), mit einem spiralförmigen Schläfenring, der später eines der konsistenten artefaktischen Merkmale von Yamnaya-Gräbern sein würde, aber ihre seitlich zusammengezogene Haltung war wie Maikop, nicht Yamnaya, und sie hat etwa 40% Maikop-ähnliche genetische Abstammung. Interessantes Bild wegen der Mischung von Merkmalen. Credit: Natalia Shishlina (Mitautorin von „The Genetic Origin of the Indo-Europeans“)

Neu entdeckte Population mit großem Einfluss

Die neue Studie zeigt, dass die Yamnaya-Bevölkerung zu etwa 80 Prozent von der CLV-Gruppe abstammt, die wiederum zu mindestens einem Zehntel von bronzezeitlichen Zentralanatolier*innen abstammen, die Hethitisch sprachen.

„Die CLV-Gruppe kann daher mit allen IE-sprechenden Populationen in Verbindung gebracht werden und ist der wahrscheinlichste Kandidat für jene Bevölkerung, die Indo-Anatolisch sprach: den sprachlichen Vorfahren sowohl des Hethitischen als auch aller späteren IE-Sprachen“, erklärt Ron Pinhasi.

Die Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass die Integration der proto-indoanatolischen Sprache – die sowohl von anatolischen als auch von indoeuropäischen Völkern gesprochen wurde – zwischen 4.400 und 4.000 v.d.Z. ihren Höhepunkt erreichte.

„Die Entdeckung der CLV-Bevölkerung als das ‚Missing Link‘ in der indoeuropäischen Geschichte markiert einen Wendepunkt in der 200 Jahre alten Suche nach den Ursprüngen der Indoeuropäer und den Wegen, auf denen sich diese Menschen über Europa und Teile Asiens ausbreiteten“, schließt Ron Pinhasi.

Fig. 2: Photo of a Yamnaya grave at Tsatsa, North Caspian steppes (I6919), 2847-2499 calBCE, to contrast the grave pose with what we would see in Yamnaya, supine with raised knees, fallen to the sides in this case, with a copper dagger, a typical Yamnaya small pot, and a funnel perhaps used in making milk products; dairy peptides were ubiquitous in Yamnaya dental plaque and regular consumption of dairy foods was an innovation of the Yamnaya period in the steppes
Abb. 2: Foto eines Yamnaya-Grabes in Tsatsa, Nordkaspische Steppe (I6919), 2847-2499 calBCE, um die Grabhaltung mit der zu kontrastieren, die wir in Yamnaya sehen würden: Rückenlage mit angehobenen Knien, in diesem Fall auf die Seite gefallen, mit einem Kupferdolch, einem typischen Yamnaya-Töpfchen und einem Trichter, der vielleicht zur Herstellung von Milchprodukten verwendet wurde; Milchpeptide waren im Zahnbelag der Yamnaya allgegenwärtig, und der regelmäßige Verzehr von Milchprodukten war eine Innovation der Yamnaya-Periode in den Steppen

Veröffentlichung:

Lazaridis, I., Patterson, N., Anthony, D. et al., The genetic origin of the Indo-Europeans, Nature (2025), DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-024-08531-5

Pressemitteilung der Universität Wien.

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