3400 Jahre alte Stadt aus dem Tigris aufgetaucht

Dürre ermöglicht Ausgrabung eines ehemaligen Zentrums im Reich von Mittani
Kemune Zakhiku Stadt Tigris Mittani
Die archäologische Stätte von Kemune im ausgetrockneten Gebiet des Mosul-Stausees. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Ein Team aus deutschen und kurdischen Archäolog*innen hat am Tigris eine 3400 Jahre alte Stadt aus der Zeit des Mittani-Reichs freigelegt, die aus dem Wasser des Mosul-Stausees aufgetaucht war. Ermöglicht wurde dies, weil der Wasserspiegel des Sees aufgrund extremer Trockenheit im Irak rapide abgesunken war. Bei der ausgedehnten Stadtanlage mit Palast und mehreren Großbauten könnte es sich um das alte Zachiku handeln. Dieses dürfte ein wichtiges Zentrum im Großreich von Mittani gewesen sein (ca. 1550–1350 v. Chr.).

Kemune Zakhiku Stadt Tigris Mittani
3400 Jahre alte Stadt aus dem Tigris aufgetaucht. Luftaufnahme der Ausgrabungen von Kemune mit bronzezeitlicher Architektur, die teilweise im See versunken ist. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Bronzezeitliche Stadt trat aufgrund von Dürre wieder an die Oberfläche

Der Irak ist eines der weltweit am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder. Besonders der Süden des Landes leidet seit Monaten unter extremer Trockenheit. Um die Ernte nicht vertrocknen zu lassen, wurden seit Dezember große Mengen von Wasser aus dem Mosul-Stausee – dem wichtigsten Wasserreservoir des Irak – zu Bewässerungszwecken abgelassen. Dadurch trat am Rand des Sees, am Ort Kemune in der Region Kurdistan des Irak, eine bronzezeitliche Stadt wieder an die Oberfläche, die vor Jahrzehnten untergegangen war, bevor sie archäologisch untersucht werden konnte.

Durch dieses unvorhergesehene Ereignis geriet die Archäologie unter Zugzwang: Es galt zumindest Teile dieser großen, wichtigen Stadtanlage schnellstmöglich freizulegen und zu dokumentieren, bevor sie wieder im Wasser versank. Deshalb haben der kurdische Archäologe Dr. Hasan A. Qasim, Direktor der Kurdistan Archaeology Organization (KAO) und die deutschen Archäolog*innen Jun.-Prof. Dr. Ivana Puljiz  von der Universität Freiburg und Prof. Dr. Peter Pfälzner von der Universität Tübingen spontan beschlossen, eine gemeinsame Rettungsgrabung in Kemune zu unternehmen. Diese fand im Januar und Februar 2022 in Zusammenarbeit mit der Antikendirektion Dohuk, Region Kurdistan-Irak statt.

3400 Jahre alte Stadt aus dem Tigris aufgetaucht. Archäolog*innen und Mitarbeiter*innen legen die Lehmziegelmauern der Gebäude in der antiken Stadt Kemune frei. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO
Die Lehmziegel der bronzezeitlichen Gebäude sind vom Wasser des Stausees aufgeweicht, lassen sich aber noch gut erkennen und freilegen. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Fritz-Thyssen-Stiftung unterstütze Ausgrabungen

Binnen weniger Tage wurde ein Team für die Rettungsgrabung zusammengestellt. Über die Universität Freiburg konnten kurzfristig Mittel der Fritz-Thyssen-Stiftung zur Finanzierung der Arbeiten eingeworben werden. Das deutsch-kurdische Team stand bei den Ausgrabungen unter immensem Zeitdruck, weil nicht klar war, wann das Wasser im See wieder ansteigen würde.

Massive Befestigungsanlage, mehrstöckiges Magazingebäude, industrieller Komplex

Den Forscher*innen gelang es binnen kurzer Zeit, den Plan der Stadt weitgehend zu rekonstruieren. Neben einem Palast, der bereits 2018 im Verlauf einer Kurzkampagne erfasst worden war, wurden mehrere weitere Großbauten freigelegt: eine massive Befestigungsanlage mit Mauer und Türmen, ein monumentales, mehrstöckiges Magazingebäude sowie ein industrieller Komplex. Die ausgedehnte Stadtanlage datiert in die Zeit des Großreiches von Mittani (ca. 1550–1350 v. Chr.), das weite Teile Nordmesopotamiens und Syriens kontrollierte.

„Das riesige Magazingebäude ist von besonderer Bedeutung, weil darin enorme Mengen an Gütern gelagert worden sein müssen, die wahrscheinlich aus der gesamten Region herbeigeschafft wurden,“ erläutert Puljiz. Qasim schlussfolgert: „Die Ausgrabungsergebnisse zeigen, dass der Ort ein wichtiges Zentrum im Mittani-Reich war“.

Stadt Tigris Mittani
Die ausgegrabenen Großbauten aus der Mittani-Periode werden vermessen und archäologisch dokumentiert. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO
Archäolog*innen und Mitarbeiter*innen graben die Mauern eines großen Gebäudes in der antiken Stadt aus, das als Lagergebäude aus der Zeit des Mittani-Reiches interpretiert wird. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Besonders erstaunlich sei, dass die Mauern dieser Gebäude sehr gut, manchmal mehrere Meter hoch erhalten seien, und dies obwohl es sich um Bauten aus ungebrannten Lehmziegeln handele, die über 40 Jahre lang unter Wasser lagen, so das Forschungsteam. Dies habe seinen Grund darin, dass die Stadt gegen 1350 v. Chr. bei einem Erdbeben zerstört wurde und die einstürzenden oberen Teile der Mauern die Gebäude unter sich begruben.

Stadt Tigris Mittani
Die Mauern des mittani-zeitlichen Lagergebäudes sind teilweise mehrere Meter hoch erhalten. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Keramikgefäße mit über 100 Keilschriften

Eine besondere wichtige Entdeckung sind fünf Keramikgefäße, in denen ein Archiv aus über 100 Keilschrifttafeln untergebracht war. Sie datieren in die mittelassyrische Zeit, kurz nach der Erdbebenkatastrophe, die die Stadt heimgesucht hatte. Einige Tontafeln, bei denen es sich vielleicht um Briefe handelt, stecken sogar noch in ihren Umschlägen aus Ton. Von dieser Entdeckung erhoffen sich die Forscher*innen wichtige Aufschlüsse über das Ende der Mittani-zeitlichen Stadt und den Beginn der assyrischen Herrschaft in dieser Region.

„Dass die Keilschrifttafeln aus ungebranntem Ton so viele Jahrzehnte unter Wasser überdauert haben, grenzt an ein Wunder“, sagt Pfälzner.

Kemune Zakhiku
Keramikgefäße, in denen Keilschrifttafeln aufbewahrt wurden, stehen in der Ecke eines Raumes aus der mittelassyrischen Zeit (ca. 1350-1100 v. Chr.). Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO
Eines der Gefäße mit Keilschrifttafeln wird vor der Bergung begutachtet. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO
Blick in eines der Keramikgefäße mit Keilschrifttafeln, darunter eine Tafel, die noch in ihrer ursprünglichen Tonhülle steckt. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO
Ein Restaurator holt die Keilschrifttafeln vorsichtig aus einem geöffneten Keramikgefäß im Labor des Grabungsteams in Duhok. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO 

Konservierungsmaßnahme, um Schäden durch Stausee zu verhindern

Um weitere Schäden an der bedeutenden Ruinenstätte durch den Stausee abzuwenden, wurden die ausgegrabenen Gebäude im Rahmen einer von der Gerda Henkel-Stiftung finanzierten umfangreichen Konservierungsmaßnahme vollständig mit enganliegender Plastikfolie umkleidet und mit Kiesschüttungen bedeckt. Dadurch sollen die Mauern aus ungebranntem Lehm und eventuelle weitere in den Ruinen noch verborgene Funde vor dem Wasser geschützt werden. Inzwischen ist der Fundort wieder vollständig überflutet.

Kemune Zakhiku
Nachdem das Forschungsteam seine Arbeit beendet hat, wird die Ausgrabung großflächig mit Plastikfolie abgedeckt, um sie vor dem steigenden Wasser des Mosul-Stausees zu schützen. Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Pressemitteilung von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

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