Bereits der Neandertaler jagte Höhlenlöwen und nutzte ihre Felle: Forschungsteam entdeckt bei der Untersuchung von Knochen aus der Einhornhöhle im Harz Bearbeitungsspuren durch frühe Menschen.

Bei Ausgrabungen an der Einhornhöhle im Harz bei Scharzfeld im Landkreis Göttingen wurden 2019 unter zahlreichen eiszeitlichen Tierresten auch wenige Knochen des ausgestorbenen Höhlenlöwen identifiziert. Die Funde lagen in einem Seitenarm der Höhle, etwa 30 Meter vom heute verschütteten Eingang entfernt, in einer mehr als 200.000 Jahre alten Fundschicht. Sie wurden im Rahmen des Verbundprojekts „Climate Change and Early Humans in the North“ unter der Leitung des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege gemeinsam mit den Universitäten Tübingen und Reading erforscht.

Bei der Untersuchung der Überreste fiel dem Archäozoologen Gabriele Russo vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen ein Zehenknochen auf: das Zehenglied zeigt eine Schnittspur, wie sie nur dann entsteht, wenn das Tier zur Fellgewinnung enthäutet wurde. Dabei wurden die Krallen gut sichtbar im Fell belassen, was möglicherweise dem Prestige des Besitzers dienen sollte. Hieraus lässt sich schließen, dass die frühen Neandertaler Löwenfelle besonders wertschätzten.

Für eine Jagd des Tieres lieferten die Funde aus der Einhornhöhle allerdings keinen direkten Beleg. Bei der Durchsicht bereits bekannter Höhlenlöwenfunde gelang Russo dann zu dieser Frage eine entscheidende Entdeckung. Im Jahr 1975 hatte ein Jugendlicher bei Siegsdorf in Bayern exzellent erhaltene Überreste eines Höhlenlöwen entdeckt, die heute im örtlichen Museum ausgestellt werden. Bei der Untersuchung des Skelettes konnte der Forscher neben zahlreichen bekannten Schnittspuren auch eine Beschädigung an einer Rippe beobachten, die er zusammen mit der Archäologin Dr. Annemieke Milks von der Universität Reading als Jagdverletzung identifizierte.

Finds from Einhornhöhle (Unicorn Cave) in the Harz Mountains demonstrate Neanderthals engraved bones (foreground) and valued lion skins (background). Illustration: Mauro Cutrona, ©NLD
Funde aus der Einhornhöhle im Harz zeigen, dass bereits Neandertaler Knochen verzierten (Vordergrund) und Löwenfelle attraktiv fanden. Grafik: Mauro Cutrona, ©NLD

Hinweise auf die Jagd

Russo stellt fest: „Die Rippenverletzung unterscheidet sich deutlich von Bissspuren großer Fleischfresser und zeigt die typischen Bruchmuster einer Verletzung durch eine Waffe.“ Milks bestätigt: „Der Löwe wurde wahrscheinlich durch den Stoß mit einem Speer in den Brustraum getötet, als er bereits am Boden lag.“

Damit lässt sich für das etwa 50.000 Jahre alte Skelett erstmals nachweisen, dass der Neandertaler Höhlenlöwen tatsächlich gejagt hat. Die Schnittspuren belegen zudem, dass er nicht nur einen Nahrungskonkurrenten beseitigte, sondern das Fleisch auch verzehrte.

Der Höhlenlöwe hatte eine Schulterhöhe von etwa 1,3 Metern und war in Eurasien in den letzten 200.000 Jahren das gefährlichste Tier, bis er am Ende der Eiszeit ausstarb. Der Fleischfresser lebte sowohl in der Steppe als auch in bergigen Regionen und jagte große Pflanzenfresser wie Mammut, Bison und Pferd, aber auch der Höhlenbär gehörte zur Beute. Seinen Namen verdankt der Höhlenlöwe dem regelmäßigen Fund seiner Überreste in den eiszeitlichen Schichten der Höhlen.

Bislang ging man davon aus, dass allein der frühe moderne Mensch, Homo sapiens, besonderes Interesse an dem Tier hatte. Unter den ältesten Kunstwerken des Menschen von der Schwäbischen Alb ist der Höhlenlöwe unter anderem mit dem aus Elfenbein geschnitzten, ca. 40.000 Jahre alten Löwenmenschen prominent vertreten. In der Grotte Chauvet in Südostfrankreich sind Löwenrudel die eindrucksvollsten Darstellungen der etwa 34.000 Jahre alten Wandmalereien.

Grundlage für spätere kulturelle Entwicklungen

Die neuen Ergebnisse verdeutlichen, dass der Höhlenlöwe bereits für den Neandertaler von großer Bedeutung war. Der Sprecher des Projektes, Professor Thomas Terberger vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege und der Universität Göttingen zeigt sich begeistert von den Untersuchungsergebnissen:

„Der Wunsch, mit dem Fell dieses gefährlichen Tieres Respekt und persönliche Kraft zu gewinnen, wurzelt allem Anschein nach bereits in der Zeit des Neandertalers, und bis heute gilt der Löwe als herrschaftliches Symbol!“

Die neue Studie bestätigt, dass der Neandertaler dem modernen Menschen viel ähnlicher war als noch vor kurzem gedacht. So brachte die Einhornhöhle auch einen Riesenhirschknochen hervor, der mit einem Winkelmuster verziert ist. Die neuen Erkenntnisse zum Umgang des Neandertalers mit dem Höhlenlöwen passen somit gut ins Bild und könnten auch die Grundlage für spätere kulturelle Entwicklungen des Homo sapiens gelegt haben.

Die Studie ist in der Fachzeitschrift Scientific Reports erschienen und wurde im Rahmen des Verbundprojektes „Climate Change and Early Humans in the North“ erarbeitet, das federführend vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege durchgeführt und vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur finanziell gefördert wird.

Neandertaler Höhlenlöwen The skull of the cave lion from Siegsdorf (Bavaria, Germany) shows the large canines of this dangerous carnivore. Volker Minkus ©NLD
Der Schädel des Höhlenlöwen von Siegsdorf (Bayern) lässt die großen Fangzähne des gefährlichen Fleischfressers erkennen. Das etwa 50.000 Jahre alte Skelett erstmals nachweisen, dass der Neandertaler Höhlenlöwen tatsächlich gejagt hat. Foto: Volker Minkus ©NLD

Nach einer Pressemitteilung des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege

Publikation:

G. Russo/ A. Milks/ D. Leder/ T. Koddenberg/ B.M. Starkovich/ M. Duval/ J.-X. Zhao/ R. Darga/ W. Rosendahl/ T. Terberger: First direct evidence of lion hunting and the early use of a lion pelt by Neanderthals. Scientific Reports 2023, https://doi.org/10.1038/s41598-023-42764-0

Pressemitteilung des Universität Tübingen

Dove i classici si incontrano. ClassiCult è una Testata Giornalistica registrata presso il Tribunale di Bari numero R.G. 5753/2018 – R.S. 17. Direttore Responsabile Domenico Saracino, Vice Direttrice Alessandra Randazzo. Gli articoli a nome di ClassiCult possono essere 1) articoli a più mani (in tal caso, i diversi autori sono indicati subito dopo il titolo); 2) comunicati stampa (in tal caso se ne indica provenienza e autore a fine articolo).

Write A Comment

Pin It