Schädeltraumata zeugen von Konflikten bei Entstehung der ersten Städte: internationales Forscherteam wertete über 3.500 Schädelfunde aus dem Nahen Osten aus – In den 12.000 Jahren vor der Zeitenwende stieg die Rate gewaltsamer Tode zuerst und sank dann wieder.

Schädeltraumata Konflikten ersten Städte A cranial trauma bears witness of a violent death. Photo: Joachim Wahl / University of Tübingen
Ein gespaltener Schädel lässt auf einen gewaltsamen Tod schließen. Foto: Joachim Wahl / Universität Tübingen

Die Entstehung der frühesten Städte im Zweistromland und dem Nahen Osten ließ die Gewalt zwischen ihren Bewohnern steigen. Durch Gesetze, eine zentrale Verwaltung, Handel und Kultur sank die Rate gewaltsamer Tode aber wieder in der frühen und mittleren Bronzezeit (3.300 bis 1.500 v.Chr). Zu diesem Befund kommt ein internationales Forscherteam der Universität Tübingen, Barcelona und Warschau. Ihre Ergebnisse wurden am Montag in der Fachzeitschrift Nature Human Behaviour veröffentlicht.

violence first cities
Schädeltraumata zeugen von Konflikten bei Entstehung der ersten Städte. Verteilung der Fundorte von Schädeln und Knochen, die für die vorliegende Studie analysiert wurden.Kartennachweis: Joerg Baten et al, Nature Human Behaviour. (Base map adapted from Ryan, W. B. F. et al. Global multi-resolution topography (GMRT) synthesis data set. Geochem. Geophys. Geosyst. 10, Q03014 (2009), CC BY 4.0

Die Forscher haben 3.539 Skelette aus dem Gebiet des heutigen Iran, Irak, Jordanien, Syrien, Libanon, Israel und der Türkei auf Knochentraumata untersucht, die nur durch Gewalt zustande kommen konnten. So konnten sie ein differenziertes Bild der Entwicklung der interpersonellen Gewalt in der Zeit von 12.000 bis 400 Jahre v.Chr. zeichnen. In diesen Zeitraum fallen so grundlegende Veränderungen in der Menschheitsgeschichte wie die Erfindung des Ackerbaus, die Sesshaftwerdung des Menschen und das Entstehen der ersten Städte und Staaten.

„Die Mordrate erreichte im Zeitraum von 4.500 bis 3.300 Jahre vor unserer Zeitenwende einen Höhepunkt und sank dann wieder im Laufe der folgenden 2.000 Jahre“, sagte Jörg Baten vom Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte der Universität Tübingen und Projektleiter der Studie. Die Forschenden sprechen auch von „interpersoneller Gewalt“. „Mit der Klimakrise, steigender Ungleichheit und dem Kollaps wichtiger Staaten in der späten Bronzezeit und frühen Eisenzeit (1.500 – 400 v. Chr.) steigt die Gewaltanwendung erneut.“

Der Anteil der gewaltsamen Todesfälle, der sich an Schädeltraumata und Waffenverletzungen wie zum Beispiel Pfeilspitzen in Skeletten ablesen lässt, ist dabei ein gängiger Indikator für interpersonelle Gewalt.

Die Forschung zu dem Thema teilt sich bisher in zwei Lager. Das erste um den amerikanischen Psychologen Steven Pinker behauptet eine stetige Abnahme der Gewaltanwendung über die Jahrtausende seit der Zeit vorstaatlicher Jäger- und Sammlergesellschaften bis heute. Das zweite Lager sieht in der Entstehung von Städten und einer Zentralgewalt überhaupt erst die Voraussetzung für Kriege und massive Gewaltanwendung, die sich seither fortsetze. Die Studie aus Tübingen, Barcelona und Warschau zeichnet nun ein differenziertes Bild.

Als Gründe für das Ansteigen der Gewalt im 5. und 4. Jahrtausend v. Chr. sehen die Forscher die Zusammenballung der Menschen in den ersten Städten, die aber noch nicht gut organisiert waren. Erst durch die Entwicklung von Rechtssystemen, einer zentral kontrollierten Armee und religiöser Feste konnte die Gewaltrate merklich gesenkt werden. Auch der Handel nahm in der frühen und späten Bronzezeit im östlichen Mittelmeerraum und Mesopotamien zu, was durch Tontafeln in Keilschrift belegt werden kann, die als Lieferscheine und Rechnungen dienten.

„Die höhere Sicherheit in dieser Zeit war zunächst sogar trotz abnehmender landwirtschaftlicher Erträge und zunehmender Ungleichverteilung der Einkommen in der Mittleren Bronzezeit möglich“,

sagte Giacomo Benati von der Universität Barcelona und Co-Autor der Studie.

Ein erneuter Wendepunkt ist der Zusammenbruch zahlreicher Hochkulturen in der späten Bronzezeit. In diese Phase um 1.200 v.Chr. fällt auch eine 300 Jahre andauernde Klimakatastrophe und damit zusammenhängende Migrationsbewegungen. Dadurch stieg auch die Rate gewaltsamer Tode wieder.
Die Studie ist im Rahmen des von der DFG geförderten Sonderforschungsprojekt 1070 „RessourcenKulturen“ an der Universität Tübingen entstanden, das dieses Jahr abgeschlossen wurde.

Originalpublikation:

Joerg Baten, Giacomo Benati, Arkadiusz Soltysiak: Violence Trends in the Ancient Middle East between 12,000 and 400 BCE. Nature Human Behaviour, https://www.nature.com/articles/s41562-023-01700-y.

Pressemitteilung des Universität Tübingen

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